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«Freihandelsabkommen können die Wettbewerbsposition von KMU verbessern»

Wenn die Schweiz mit anderen Staaten Freihandelsabkommen verhandelt und abschliesst, spielt Christian Etter eine zentrale Rolle: er ist Delegierter des Bundesrates für Handelsverträge. Welches Abkommen als nächstes abgeschlossen werden dürfte, welche Position die Schweiz bei internationalen Verhandlungen einnimmt und was Handelsverträge für KMU bedeuten, erzählt Christian Etter im Interview. 

Christian Etter: «Wenn Verhandlungen nicht weiterkommen, ist vielleicht die Zeit noch nicht reif»

Christian Etter, eines der neuesten Freihandelsabkommen der Schweiz ist jenes mit China, es ist seit dem 1.07.2014 in Kraft. Welche Bilanz ziehen Sie heute?
Die Bilanz ist positiv. Das Abkommen wird in beiden Richtungen von Exporteuren und Importeuren intensiv genutzt. Die Statistik zeigt, dass sich die bilateralen Handelsströme in beiden Richtungen überdurchschnittlich entwickelt haben. Für China ist das Freihandelsabkommen mit der Schweiz eine neue Erfahrung, da es das erste Freihandelsabkommen Chinas mit einem westeuropäischen Land ist, das zudem als Binnenland die meisten seiner Exporte über Drittländer abwickelt. Dank der gut funktionierenden Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden, insbesondere zwischen den Zollverwaltungen der Schweiz und Chinas, konnten schon verschiedene Vereinfachungen bei der Einfuhrabwicklung in China und in der Schweiz umgesetzt werden.

Kann die Schweiz bei Verhandlungen, wie beispielsweise mit einer Wirtschaftsmacht wie China, überhaupt auf Augenhöhe diskutieren?
Das muss die Grundvoraussetzung für jede Verhandlung sein. Würde die Schweiz anders behandelt, könnten wir nicht erfolgreiche verhandeln. Andere Länder mögen eine grössere Volkswirtschaft haben, das bedeutet aber auch, dass auf ihrer Seite mehr Firmen das Abkommen nutzen können. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass die Schweiz gemessen an der Wertschöpfung zu den 20 grössten Volkswirtschaften der Welt gehört.

Wie schwierig ist es für die Schweiz, die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen?
Wenn zwei Länder ein Abkommen aushandeln, dann verfolgen beide das Ziel, den Handel zu erleichtern. Die Herausforderung besteht darin, dass es in jedem Land auch weniger konkurrenzfähige Sektoren gibt, die zusätzlichen Importwettbewerb möglichst vermeiden wollen. Es ist die Aufgabe der Verhandlungsdelegationen, ein Abkommen so zu konkretisieren, dass aus den Zollsenkungen und anderen Handelserleichterungen eine Win-win-Situation resultiert. In jedem Fall wird ein Abkommen nur dann abgeschlossen, wenn es für jede Seite insgesamt voreilhaft ist.

Drohten Verhandlungen auch schon zu scheitern?
Jede Verhandlung kann scheitern. Dass Verhandlungen abgebrochen werden, ist aber eher selten. Wenn Verhandlungen nicht weiterkommen, ist vielleicht die Zeit noch nicht reif. Dann werden vertiefte Abklärungen nötig und man geht das Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt wieder an. Verhandlungen müssen aber manchmal auch aus politischen Gründen suspendiert werden. So hat etwa die EFTA die Verhandlungen mit Thailand nach dem dortigen Militärputsch nicht weitergeführt, weil auf der Gegenseite keine stabilen Verhältnisse mehr gegeben waren.

Verschiedene Abkommen sind aktuell in Verhandlung, wo könnte es bald zu einem Abschluss kommen?
Das kann man jeweils erst sagen, wenn ein Abkommen wirklich abgeschlossen ist. Typischerweise können die schwierigeren Themen einer Verhandlung erst in der letzten Phase einer Lösung nähergebracht werden, was bedeutet, dass es kurz vor einem erhofften Abschluss zu weiteren Verzögerungen kommen kann. Konkret ist zu erwarten, dass die Verhandlungen mit Ecuador in nächster Zeit abgeschlossen werden können.

Kritik an Freihandelsabkommen kommt beispielsweise aus der Landwirtschaft. Die Bauern wollen diesen Markt geschlossen halten. Können Sie das nachvollziehen?
Die Landwirtschaft wird in der Schweiz durch Direktzahlungen unterstützt, und das Preisniveau zahlreicher Schweizer Agrarprodukte wird durch Einfuhrzölle hoch gehalten. Freihandelsabkommen sind nötig, damit Schweizer Industrieprodukte und Dienstleistungen auf den Exportmärkten nicht ins Hintertreffen geraten. Abkommen können aber nur abgeschlossen werden, wenn ein Interessenausgleich zwischen den Verhandlungsparteien gelingt. Dies bedeutet, dass auch die Exportinteressen unserer Verhandlungspartner berücksichtigt werden müssen.
Bei den bisherigen Freihandelsabkommen reichten dafür vergleichsweise beschränkte Verbesserungen des Zugangs zum Schweizer Agrarmarkt aus. Bei laufenden Verhandlungen, etwa mit dem Mercosur oder mit Indonesien, deren Hauptexportinteressen bei Agrarprodukten liegen, werden neue Lösungen gefragt sein. Allerdings bieten offenere Märkte auch der Schweizer Landwirtschaft Chancen. Dies hat beispielsweise der Freihandel mit Käse zwischen der Schweiz und der EU gezeigt.

Kritische Stimmen sagen auch, dass die Anwendung von Abkommen zu bürokratisch sei.
Die Nutzung eines Freihandelsabkommens ist immer mit einem gewissen Zusatzaufwand verbunden. Um in den Genuss der Zollvergünstigung zu gelangen, müssen Unternehmen nachweisen, dass ihre Produkte unter das Freihandelsabkommen fallen. Voraussetzung dafür ist, dass ein Produkt im Exportland hergestellt oder dort in genügendem Mass bearbeitet wurde. Hinzu kommt, dass die Schweiz ein Binnenland ist. Gewisse Partnerstaaten in Übersee verlangen zusätzliche Nachweise dafür, dass ein Produkt tatsächlich aus der Schweiz exportiert wurde, auch wenn es in einem Seehafen, zum Beispiel in Rotterdam, zwischengelagert und von dort verschifft wurde. Der damit verbundene Aufwand nimmt mit zunehmender Praxis einer Firma ab und fällt dann in der Regel weniger ins Gewicht.
Weiter ist in Erinnerung zu rufen, dass Exportprodukte, auch wenn sie unter einem Freihandelsabkommen von Zollvergünstigungen profitieren, trotzdem die Produktevorschriften des Ziellandes erfüllen müssen und gegebenenfalls entsprechenden Kontrollen und Konformitätsprüfungen unterliegen. Der Abbau derartiger Handelshemmnisse setzt die Harmonisierung der Produktevorschriften und die gegenseitige Anerkennung der Marktüberwachung voraus, wie dies zwischen der Schweiz und der EU dank den bilateralen Verträgen, die auf gemeinsamen europäischen Standards beruhen, in verschiedenen Sektoren der Fall ist.

Profitieren KMU gleichermassen von Freihandelsabkommen wie Grossunternehmen?
Grundsätzlich ja, auch wenn sich die Nutzung eines Abkommens umso eher lohnt, je häufiger ein Unternehmen in ein bestimmtes Land exportiert. Das ist aber nicht unbedingt von der Betriebsgrösse abhängig. Es gibt viele KMU, die Freihandelsabkommen regelmässig nutzen. Die Globalisierung der Wertschöpfungsketten erfasst auch zahlreiche KMU, was heisst, dass diese ihre Wettbewerbsposition – ebenso wie Grossunternehmen – durch die Nutzung von Freihandelsabkommen verbessern können. Dabei kann es sinnvoll sein, sich beraten zu lassen. Unterstützung bietet zum Beispiel Switzerland Global Enterprise.

Über Christian Etter

Botschafter Christian Etter ist Delegierter des Bundesrates für Handelsverträge. Seit 2006 leitet er den Leistungsbereich Aussenwirtschaftliche Fachdienste in der Direktion für Aussenwirtschaft des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. Zuvor war er als Leiter EFTA/Freihandelsabkommen im SECO tätig. Von 1996 bis 2000 leitete Christian Etter die Abteilung für Wirtschats-, Finanz- und Handelsangelegenheiten der Schweizer Botschaft in Washington, D.C.

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