Analyse

Rumänien: Zweistelliges Lohnwachstum erwartet

Rumänien befindet sich weiter in einer gesamtwirtschaftlichen Wachstumsphase. Die dynamischen Lohn- und Gehaltszuwächse im öffentlichen wie im privaten Sektor und die weitere Erhöhung des Mindestlohns steigern das verfügbare Einkommen. Der staatliche Sektor hat an Attraktivität gewonnen. Private Arbeitgeber haben zunehmend Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die günstige Entwicklung in den meisten Branchen üben einen Aufwärtsdruck auf Löhne und Gehälter aus.

Bukarest

Laut einer gemeinsamen Arbeitsmarktstudie von KPMG, dem Arbeitgeberverband Concordia und dem rumänischen Institut für Wirtschaftsforschung wird sich das Arbeitskräftedefizit bis 2022 verdoppeln. Die Ursachen dafür sind die Auswanderung in andere Staaten, die soziale Ausgrenzung und die Alterung der Bevölkerung. Rumänien weist ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, das Armutsrisiko und die Einkommensverteilung auf.

Die durchschnittlichen Arbeitskosten betrugen 2018 etwa 5,70 Euro pro Stunde. In der EU-Statistik hatte das Land Ende des vergangenen Jahres die fünftniedrigste Arbeitslosenquote unter den Mitgliedstaaten. Die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen belief sich im dritten Quartal 2018 auf 71,3%. Das vergleichsweise niedrige Lohnniveau bildet nach wie vor das Hauptmotiv für Investoren aus dem Ausland. Die Arbeitskräftenachfrage steigt nach Angaben des Personaldienstleisters ManpowerGroup in allen acht Landesregionen und in neun von zehn untersuchten Wirtschaftszweigen. Ein Beschäftigungsrückgang ist nur für den Sektor Restaurants und Hotels zu erwarten. Grossunternehmen stellen eher Personal ein als kleine und mittlere Unternehmen.

Fachkräftemangel hauptsächlich in den Ballungsgebieten

Zu den Gebieten mit besonders niedriger Arbeitslosigkeit und Knappheit an Fachkräften zählen die Hauptstadt Bukarest sowie die im Fokus des Interesses stehenden Grossstädte der westlichen Landeshälfte wie Timisoara, Cluj-Napoca und Sibiu. Dies bekommen auch ausländische Unternehmen zu spüren.

Eine der Ursachen für den Fachkräftemangel liegt im unzureichenden Ausbildungssystem. In Bereichen wie der Informations- und Kommunikationstechnik oder im Kundendienst ist allerdings ein gegenläufiger Trend zu erkennen. Softwareingenieure beispielsweise beziehen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ hohe Gehälter und Boni. Viele entscheiden sich daher für eine Arbeit in oder auch eine Rückkehr nach Rumänien. Dies gilt ebenso für Ausländer, die im Kundenservice internationaler Unternehmen in dem Land arbeiten. Um dem steigenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, werden die Unternehmen zunehmend selbst aktiv. Auf der Grundlage des 2012 eingeführten Berufsbildungssystems wird eine duale Ausbildung angeboten, an der auch deutsche Firmen als Ausbildungspartner beteiligt sind. Zu den Topsparten, auf die sich die Schüler in der Berufsschule vorbereiten, gehören Mechanik/Mechatronik, Tourismus und Lebensmittelindustrie. Ungefähr 85.000 Auszubildende besuchen eine duale Schule oder eine Berufsschule in Rumänien, davon 25% im Nordosten des Landes. Traditionell werden die Jugendlichen von der Einstellung des Elternhauses und des gesellschaftlichen Umfelds dahingehend beeinflusst, dass sie theoretische Ausbildungen an Hochschulen vorziehen und sich gegen die Berufsschule entscheiden. Oft fehlt eine qualifizierte individuelle Berufs- und Studienberatung.

Einige Universitäten kooperieren mit den vor Ort tätigen deutschen Unternehmen und richten ihren Lehrstoff teilweise nach dem Bedarf oder auf Anregungen der Wirtschaft aus. Jahrelange Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gibt es beispielsweise in den Sparten Maschinenbau, Ingenieurwesen und Informatik in Bukarest, Timisoara, Brasov, Cluj-Napoca und Iasi. Als sehr talentiert gelten die Beschäftigten im IT-Bereich und bei Fremdsprachen. Es gibt viele Studiengänge, die komplett in deutscher Sprache angeboten werden. Diese Kombination sowie vergleichsweise niedrigen Löhnen ist ein Grund dafür, dass viele Unternehmen ihre Callcenter nach Rumänien auslagern.

Arbeitnehmer wollen mehr als nur ein gutes Gehalt

Die Arbeitgeber stehen bei der Rekrutierung von neuem Personal und der Bindung der vorhandenen Mitarbeiter vor neuen Herausforderungen und Trends. Das Gehalt ist nicht mehr das alleinige Kriterium, das über die Annahme eines Jobangebots oder den Verbleib in einem Unternehmen entscheidet. Zunehmend sind Boni, Betriebsklima und Arbeitszeitflexibilität ausschlaggebend. Ausserdem wird auf Weiterbildungsangebote sowie auf Wertschätzung und konstruktives Feedback durch Vorgesetzte Wert gelegt.

Der Fachkräftemangel betrifft vor allem das Gesundheitswesen, die Bauwirtschaft, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die IKT. Unternehmen, die auf der Suche nach Mitarbeitern sind, sollten möglichst mehrere Wege beschreiten. Die Auslandshandelskammer Rumänien hilft gegen Gebühr bei der Suche nach Fachpersonal. Ausserdem gibt es zahlreiche Personalvermittlungsagenturen, darunter auch einige, die von Deutschen geführt werden wie beispielsweise Stein & Partner und Transearch, sowie internationale oder rumänische Agenturen. Zur Platzierung von Stellenanzeigen für Arbeiter und einfache Angestellte eignen sich ausserdem lokale Zeitungen.

Für dieses Jahr erwartet die Nationale Prognosekommission (CNP) einen erheblichen Anstieg der Reallöhne um 11,8%. Hintergrund ist unter anderem die weitere Steigerung der Gehälter im Staatssektor. Der nominale monatliche Brutto-Durchschnittswert lag letztes Jahr in der Gesamtwirtschaft bei 967 Euro. Er soll 2019 laut Prognose der CNP 5.163 Lei (rund 1.106 Euro) betragen. Betrachtet man das geschätzte nominale Wachstum im öffentlichen und privaten Sektor, so ist erkennbar, dass die staatlichen Gehälter auch deutlich steigen werden. Durch die Umstellung der Sozialbeiträge vom Arbeitgeber auf die Zuständigkeit des Arbeitnehmers profitieren Berufseinsteiger oder Arbeiter mit weniger Berufserfahrung unterdurchschnittlich von der nominalen Mindestlohnerhöhung. Dieser beträgt laut Regierungsbeschluss monatlich 2.080 Lei. Der Brutto-Mindestlohn lag 2018 bei 1.900. Der Beschluss sieht auch ein Gehalt in Höhe von 2.350 Lei für Beschäftigte mit Hochschulabschluss vor, die mindestens ein Jahr ihren gelernten Beruf ausüben. Die stark kontroverse Dringlichkeitsverordnung führte dieses Jahr einen neuen Mindestlohn in Höhe von 3.000 Lei brutto ein. Diese Vorschrift gilt für alle Unternehmen der Baubranche, inklusive Firmen, die im Bereich Architektur, Ingenieurwesen und technische Beratung tätig sind. Sie soll nicht nur für Bauarbeiter, sondern für alle Mitarbeiter, unabhängig von deren Funktion, gelten.

Quelle: MBM Martin Brückner Medien GmbH "Ostwirtschaftsreport"

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