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«Indien ist nicht so schwierig, wie es scheint»

Der ehemalige TATA-Manager Alan Rosling spricht darüber, wie sich Indien unter den Schwellenländern auszeichnet, wie Modi Fortschritte macht und warum KMU in erster Linie Zeit in dem Land verbringen sollten. Rosling wird am 21. Juni in Zürich auf der Asia Leaders Series-Veranstaltung über Indiens Weg nach vorne sprechen.

Alan Rosling
Alan Rosling

Ministerpräsident Modi hat innerhalb der internationalen Wirtschaftsgemeinde grosse Hoffnungen auf Reform und Fortschritt in Indien geweckt. Liegen die Menschen damit richtig?

Ich denke, Premierminister Modi hebt sich deutlich von den bisherigen politischen Führungen ab, die Indien in den letzten 30 Jahren erlebte. Ein Vorteil ist seine klare Mehrheit im Unterhaus des Parlaments und ein sehr umfangreiches persönliches Mandat. Ich denke, ihm bietet sich eine historische Gelegenheit, in Indien auf eine Art und Weise Fortschritte zu erzielen, mit der die bisherigen Koalitionsregierungen Schwierigkeiten hatten. Er versucht, seine Arbeitsweise aus seiner Zeit als Ministerpräsident von Gujarat beizubehalten, damals war das Wachstum zehn Jahre lang sehr hoch.

Ich bin wirklich der Überzeugung, dass dort Fortschritt erkennbar ist. Es wird immer einfacher, in Indien ein Unternehmen zu führen, die Bonitätsbewertungen des Landes verbessern sich. Natürlich kontrolliert Modi nur die erste von drei Regierungsebenen, die zentral, staatlich und lokal sind. Aber er hat die öffentliche Agenda weitgehend unter Kontrolle.

Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen mag Indien noch immer ein wenig zu gross erscheinen...

Ich führe ein KMU. Meine eigene Firma hat ihren Sitz in Hong Kong und ich mache in und mit Indien Geschäfte. Ich verstehe, dass Indien vor allem auf kleine Unternehmen anspruchsvoll wirkt. Doch eigentlich bietet sich eine enorme und wachsende Gelegenheit, die weiter wachsen wird.

Schweizer KMU sind oft technologiegetrieben und es bietet sich ihnen ein sehr attraktiver Markt und Kundenstamm in Indien. Indien mangelt es an Auto-Innovationen und Wegen, Dinge anders anzugehen.

Meine Empfehlung ist vor allem: Zeit auf dem Markt verbringen. Sprechen Sie mit Kunden. Sie werden sehr positiv darauf reagieren, denn die Menschen in Indien sind offen für neue Dinge und dafür, sich mit verschiedenen Menschen auszutauschen. Viele Unternehmen entscheiden sich daraufhin für ein Joint-Venture oder versuchen, einen Partner zu finden; einen Vertriebshändler oder einen Bevollmächtigten. Für mittlere und grössere Unternehmen empfehle ich in der Regel nicht, ein Joint-Venture einzugehen, wenn es keinen echten Mehrwert durch den indischen Joint-Venture-Partner gibt. Denn in Indien könnte man sehr gutes Personal einstellen. Diese Entscheidung ist massgeblich.

Müssen wir unsere Sicht auf Indien als kompliziertes und bürokratisches Land revidieren?

Indien kann je nach Branche kompliziert sein. Wenn Sie mit der Regierung zu tun haben, kann sich dies oft kompliziert und reguliert gestalten, ebenso in der Verteidigung, der Nuklear- oder Medienindustrie. Doch das kann ehrlich gesagt in den meisten Ländern der Fall sein. Indien ist meiner Erfahrung nach nicht so schwierig, wie es erscheint, nicht so schwierig wie sein Ruf, vor allem, wenn man in direktem Kontakt mit Kunden aus dem privaten Sektor steht.

Die meisten Sektoren sind jetzt offen zugänglich: Wenn Sie einen Handelsvertreter oder ein Verkaufsbüro einrichten möchten, ist das relativ einfach. Es geht wirklich darum, in den Markt hineinzukommen und dann eine sinnvolle Beratung von einem Buchhalter oder einem Anwalt in Anspruch zu nehmen, wenn der gesunde Menschenverstand das nahe legt. Wieder ist mein Rat, in den Markt einzutreten, mit den Leuten zu sprechen, die Kundenreaktion abzuwarten und dann, wenn sich Gewinnchancen bieten, werden Sie einen Weg finden, diese zu ergreifen.

Wie lautet Ihre Prognose für den indischen Markt auf lange Sicht, welche Sektoren sind auf dem Vormarsch?

Nun, die meisten Sektoren. Indien ist eine wachsende Wirtschaft. Das BIP wächst derzeit um 7 bis 8 Prozent, daher wachsen die meisten Unternehmen schneller. Die Nachfrage in vielen Sektoren könnte auf das 1,5- oder 2-fache des Niveaus von China vor 10 oder 20 Jahren ansteigen. Es scheint, als würde sich dieser Trend auch in der Zukunft nicht verlangsamen. Zu den besonders starken Sektoren zählen Energie, vor allem erneuerbare Energien, und Infrastruktur sowie Konsumgüter mit Markenprodukten, die sowohl die obere Mittelklasse als auch eine kostenbewusstere Mittelschicht bedienen. Auch wird Indien in den kommenden zehn Jahren als Standort für die Produktion für den Export sehr attraktiv, wodurch sich für Schweizer Lieferanten Chancen ergeben.

Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen, was im Cleantech-Sektor und dem Sektor der erneuerbaren Energie geschieht und wie und wo Schweizer Unternehmen Fachwissen einbringen können?

Es passiert enorm viel. Die Richtlinien für saubere Energie wurde in den letzten 10 Jahren gut durchdacht. Der Sektor der erneuerbaren Energien, insbesondere Wind und in den letzten Jahren vor allem Solar, erlebte einen Boom und hat gerade die Marke von installierten 12GW überschritten. Indien ist heute einer der grössten Solarmärkte der Welt. Und Solar hat ein grosses Potenzial, da die Sonnenressourcen unendlich sind und es viele Wüsten gibt.

Bestimmte andere Clean-Tech-Möglichkeiten wie die Wassertechnologie sind problematischer, weil der Markt für Wassertechnologie tendenziell von lokalen Regierungen als Kunden abhängt. Zudem gab es eine ganze Reihe von Aktivitäten rund um Abfallwirtschaft und Recycling.

Was ist mit Stolpersteinen, denen KMU bei der Geschäftstätigkeit in Indien gegenüberstehen, haben Sie Ratschläge, um Verfahren und Verhandlungen voranzutreiben?

In Indien können Dinge sehr schnell geschehen. Einer der Vorteile von Indien als aufstrebendem Markt ist, dass die gesamte immaterielle Infrastruktur, die zum Betreten eines solchen Marktes erforderlich ist, bereits vorhanden ist: Professionelle Beratung, Engineering, Bildung, Kenntnisse der englischen Sprache. Viele dieser Dinge fehlen in anderen Schwellenländern.

Allerdings gibt es kulturelle Unterschiede und wir können Indien nicht als nur einen Ort betrachten. Sie müssen auf allgemeine indische kulturelle Trends oder Tendenzen achten, aber auch auf die individuelle Chemie mit jeder Person oder Firma, mit der sie zu tun haben.

In Bezug auf die Ethik hat Indien einige der besten Unternehmensstandards in der Welt, manchmal aber auch die schlechtesten. Mein Rat für den Umgang mit Indien ist: Sie sollten wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Bauen Sie eine persönliche Beziehung auf. Beziehungen sind alles in Indien. Sie können sich nicht einfach auf den Vertrag verlassen. Sie müssen eine tiefe, persönliche Verbindung zu Ihren Kunden und Ihren Mitarbeitern aufbauen.

Seien Sie sich auch der Bedeutung von Zeitleisten, Terminen und Projektfortschritt in hohem Masse bewusst. Wenn jemand in Indien sagt, dass sie am Freitag «liefern», bedeutet das nicht unbedingt, dass sie auch wirklich an genau diesem Tag liefern werden. Sie müssen sich anpassen. Es gibt offensichtlich kulturelle Unterschiede zwischen einer europäischen und einer indischen Haltung, die sehr viel entspannter ist.

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