Exportwissen

Schweizer Unternehmen in China sind zuversichtlich aber vorsichtig

Interview mit Nicolas Musy, Gründungspartner von China Integrated, einer Beratungs- und Projektmanagementagentur, die ausländische Unternehmen in China unterstützt

Herr Musy lebt seit 1988 in Shanghai und verfügt über viel Praxiserfahrung mit Geschäftsaktivitäten in China. Er koordiniert den «Swiss Business in China Survey» seit dessen Einführung im Jahr 2006, dieser ist eine Art Stimmungsbarometer der Schweizer Unternehmen mit Geschäftsverbindungen nach China. Herr Musy informiert über die wirtschaftliche Situation in China und erklärt, wie Schweizer Unternehmen auf die Disruptionen von 2022 reagieren und was er für die Zukunft erwartet.

Interview with Nicolas Musy
Mr. Musy at the Sino-Swiss business award ceremony

China hat seine Null-Covid-Politik gelockert und seine Grenzen wieder geöffnet. Wie stellt sich die derzeitige Situation dar?

Im Allgemeinen erwartet man, dass sich die Lage bis zum 2. Quartal 2023 wieder normalisiert. Obwohl in Shanghai (und in den meisten Städten des Landes) laut Schätzungen der Regierung 80 % der Menschen bereits infiziert wurden, ist es für die Menschen immer noch nicht klar, was vom Virus in Zukunft zu erwarten ist und wie stark sich die Wirtschaft wieder belebt. Für alte Menschen besteht ein Risiko – das ist bekannt, für andere jedoch, insbesondere die Geimpften, ist die Krankheit normalerweise nicht viel schlimmer als eine Grippe. Die Infektionen haben sich in ländliche Gebiete verlagert, da die Menschen im ganzen Land zum chinesischen Neujahrsfest ihre Verwandte im ganzen Land besucht haben. Ich erwarte dennoch, dass die erste Welle bis März vorbei sein wird.

Und wie reagiert die Wirtschaft auf die neue Situation? Gibt es eine Aufbruchsstimmung?

Zunächst ein Wort zur Vergangenheit, damit man besser versteht, wie sich Manager momentan fühlen: Vor Covid und in den letzten 30 Jahren waren die Menschen in China an ein in hohem Masse vorhersehbares Umfeld gewöhnt. Es handelte sich um eine gelenkte Wirtschaft, in der ein Fünfjahresplan vorgab, welche Rate des Wirtschaftswachstums beispielsweise erreicht werden musste und welche Branchen entwickelt wurden. Auf Unternehmensebene war dies für Investitionsvorhaben und -erträge überaus komfortabel. 2022 war das erste Jahr, in dem die Situation in China sich nicht mehr prognosieren liess, während der Rest der Industrienationen sich mehr oder weniger normal entwickelte. Und das war ein Schock.

Jetzt nimmt der Konsum erneut zu und die Menschen verreisen wieder. Man könnte die Situation als halbwegs normal bezeichnen, zumindest in den grossen Städten. Zahlreiche Möglichkeiten stehen erneut zur Verfügung. Die Inhaber sehr vieler kleiner Unternehmen hatten ihre Firmen geschlossen. Nun ziehen sie eine Neueröffnung in Betracht.

Vonseiten der Regierung besteht eine grosse Bereitschaft, internationale Wirtschaftsbeziehungen erneut zu forcieren. Städte und Provinzen schicken Delegationen ins Ausland. Der regierende Vizebürgermeister von Kanton (Guangzhou) reiste im Dezember beispielsweise nach Zürich und Neuenburg. Weitere Reisen der Bürgermeister von Guangzhou, Changzhou (Heimat von Rieter und Mettler Toledo) und einer Reihe weiterer Provinzen und Städte sind geplant, um bei Unternehmen für Import- und Exportgeschäfte sowie für Investitionen in ihre Standorte zu werben. Es ist der Beginn einer neuen «Charmeoffensive» der chinesischen Regierung, die im Einklang mit der Botschaft steht, die vom Vizepremier in Davos überbracht wurde.

Wie lautet Ihre Vorhersage zur weiteren Entwicklung der Lage?

Die Unternehmen sind noch unsicher, ob die Berechenbarkeit zurückkehren wird. Es wird erwartet, dass die Regierung für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von etwa 5 % ankündigt, was ich für angemessen halte. Viele Menschen sind jedoch vorsichtig und möchten abwarten.

Der Immobiliensektor befindet sich nach wie vor in einer latenten Krise. Und obwohl die chinesische Bevölkerung während der Null-Covid-Zeit viel zusätzliches Geld angespart hat, ist sie bekannt für ihre Sparsamkeit in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Die Frage ist, ob die Menschen zuversichtlich genug sind, diese Ersparnisse auszugeben. Traditionellerweise würden die Lokalverwaltungen durch Anreize und Impulse den Weg aus einer Wirtschaftsflaute aufzeigen. Da sie jedoch für die Null-Covid-Massnahmen erhebliche Geldbeträge ausgegeben haben, ist unklar, ob sie der Wirtschaft leistungsstarke Starthilfe geben können. Die Aussichten für 2023 sind in jedem Fall ungleich besser, als es das Jahr 2022 war.

Und wie ist die Lage der Schweizer Unternehmen in China?

Wir führen jedes Jahr eine Umfrage unter den Schweizer Unternehmen durch. Wir schlossen sie 2022 im Februar ab, dann jedoch kamen die Invasion der Ukraine und der Lockdown in Shanghai, und alles wurde auf den Kopf gestellt. Daher führten wir im Juli eine zweite Blitzumfrage durch, um zu sehen, wie die Menschen auf diese sehr aussergewöhnlichen Disruptionen reagierten. Zu Beginn des Jahres 2022 waren Schweizer Unternehmen so optimistisch wie nie zuvor, was im Juli jedoch in einen noch nie dagewesenen Pessimismus umschlug!

Die Umfrage für 2023 läuft noch. Auf der Grundlage der ersten Antworten sind die Schweizer Unternehmen jedoch wieder sehr positiv gestimmt. Gleichzeitig schieben sie Investitionen jedoch immer noch auf. Diesen Trend konnten wir bereits im Juli 2022 erkennen. Sie sind positiv gestimmt, gehen jedoch keine Risiken ein.

Die geopolitische Situation hängt tatsächlich wie ein Damoklesschwert über uns. Einerseits bleibt die Frage, ob die USA chinesischen Unternehmen aufgrund der Beziehungen Chinas zu Russland weitere Sanktionen auferlegen werden. Derartige Sanktionen machen den Handel auch für Schweizer Unternehmen komplizierter, da sekundäre Sanktionen drohen. Zudem gibt es noch das Thema Taiwan, für das niemand so schnell eine Lösung erwartet. Zurzeit tendieren beide Seiten zu einer Entschärfung des Konflikts. Niemand kann jedoch vorhersagen, wie dieser enden wird, und die Ungewissheit, die durch das Problem entsteht, wirkt sich ungünstig auf Investitionen aus.

Was würden Sie Schweizer Unternehmen empfehlen, die in China Geschäfte machen? Wann ist der beste Zeitpunkt, um derzeit chinesische Partner zu besuchen?

So bald wie möglich. Viele Menschen sind seit drei Jahren nicht verreist. Dies führte zu Schwierigkeiten mit dem operativen Geschäft in China. Ich empfehle, Partner so schnell wie möglich zu besuchen. Derzeit beginnt in China das neue Jahr, und die Menschen nehmen ihre Geschäftstätigkeit wieder auf. Das ist ein sehr guter Moment!

Das Aussenwirtschaftsforum

Möchten Sie mehr über die Situation in China erfahren und Nicholas Musy und weitere Experten für internationalen Handel treffen? Oder möchten Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen über ausländische Märkte austauschen? Kommen Sie zum Internationalen Handelsforum am 26. April in Lausanne.

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